Mein Kind stottert plötzlich. Was soll ich nur tun?


Für alle Eltern ist das eine absolute Stresssituation! 

Das eigene Kind, das sich bisher sprachlich völlig unproblematisch entwickelt hat, fängt plötzlich ohne Grund an, beim Sprechen ins Stocken zu geraten, Wörter zu dehnen und Laute zu wiederholen – viele Eltern denken dann, dass ihr Kind stottert.

In meiner langjährigen Berufserfahrung habe ich immer wieder mit Eltern gesprochen, die die Schuld an dem Stottern ihres Kindes bei sich suchten. Sie fragten sich, ob ihre Erziehung vielleicht dafür verantwortlich ist, dass ihr Kind stottert. 

Deshalb an dieser Stelle, noch bevor ich euch weitere Informationen zu dem Thema Stottern gebe:

IHR SEID NICHT SCHULD AN DEM STOTTERN EURES KINDES UND TRAGT DAFÜR AUCH KEINE VERANTWORTUNG!

Das wurde von Wissenschaftlern untersucht, und sie sind davon überzeugt, dass Stottern sich unabhängig von der sozialen oder kulturellen Herkunft entwickelt. Ebenso entsteht es unabhängig vom Bildungsgrad oder dem Umgang innerhalb der Familie.

Jedes Stottern ist unflüssig, aber nicht jede Unflüssigkeit ist Stottern!

Relativ viele Kinder zeigen im Verlauf ihrer Sprachentwicklung Sprechunflüssigkeiten, die echtem Stottern ähneln, aber kein Stottern sind. Die meisten dieser Unflüssigkeiten sind entwicklungsbedingt und legen sich mit der Zeit. 

Dein Kind wiederholt Wörter oder Satzteile, benutzt viele Füllwörter wie „äh“ und „em“ und braucht länger um sich sprachlich zu organisieren? Es verhaspelt sich beim Sprechen und es scheint so, als denke es schneller, als es sprechen kann, so dass die Sprache ins Stolpern gerät?

Altersbedingte Sprechunflüssigkeit

Altersbedingte Sprechunflüssigkeiten gehören – wie der Name schon sagt – zur sprachlichen Entwicklung und bilden sich von alleine wieder zurück. Die sprachliche Entwicklung in den ersten Lebensjahren ist rasant, und in dieser Phase kann das Kind noch nicht sicher genug auf alle nötigen sprachlichen Elemente zugreifen. Will das Kind sich mitteilen, dann muss es den Inhalt und die dazu erforderlichen Begriffe schnell und präzise abrufen können.

Am Anfang des Spracherwerbs sind die Äußerungen des Kindes kurz und einfach, so dass die Wiedergabe der sprachlichen Inhalten leicht fällt. Je mehr ein Kind lernt sich sprachlich auszudrücken, umso höher werden die Anforderungen an die Sprechflüssigkeit. Bei Kindern baut sich das Zusammenspiel von Atmung, Stimme und Sprechbewegung im Laufe der Sprachentwicklung systematisch auf. Allein für die Artikulation (Lautbildung) bedarf es sehr feiner, miteinander koordinierter Sprechbewegungen. 

Funktioniert dieses Zusammenspiel noch nicht perfekt, dann kommt es beim Kind manchmal zur Wiederholung von Satzteilen, Wörtern oder Silben.  Es macht beim Sprechen Pausen, um das richtige Wort zu finden oder den Satz zu strukturieren.

Altersbedingte Sprechunflüssigkeiten gehören fast immer zur normalen Entwicklung, d.h. aus ihnen entsteht in der Regel kein Stottern. Bei einem kleinen Prozentsatz der Kinder können sich diese Entwicklungsunflüssigkeiten jedoch zu einem Stottern ausprägen.

Beobachte dein Kind und höre ihm zu!

In der folgenden Tabelle habe ich versucht, die Unterschiede zwischen altersgemäßer Sprechunflüssigkeit und kindlichem Stottern gegenüber zu stellen.

Altersgemäße
Sprechunflüssigkeit
Kindliches Stottern
Wortwiederholungen,
Silbenwiederholungen
ohne Anspannung und locker,
Bsp.: „Ich ich ich will das
haben“, oder „Ich möchte eine
Ba ba Banane.“
Wortwiederholungen,
Silbenwiederholungen im Wort 
mit deutlicher Anspannung und
Druck
Wiederholung von Satzteilen
ohne Druck und Anspannung,
Bsp.: „Wo ist… wo ist…wo ist der Ball?“
Dehnung von Lauten mit
Verharren und Spannung
(oft länger als 1 Sek.)
Bsp.: „Ffffffffang mich!“
Dehnungen, der Buchstabe wird
ohne Druck in die Länge gezogen. 
Bsp.: „Ich bin sooooo groß.“
Wiederholung von Silben und
Lauten. Beim Sprechen wird
Spannung aufgebaut.
Bsp.:„Te-Te-Te-Telefon“
oder „E-E-E-Esel“
Pausen zur Planung des Satzes.
Die Pause befindet sich am Ende eines Satzteiles, nicht im Wort.
Z.B. :“Ich gehe gleich— in den
Garten.“
Blockaden, „der Ton will einfach
nicht raus“. Die Blockierung
kann vor oder in einem Wort
auftreten.

Bsp.:“ –—– Ampel“, „Auto——-bahn“
Gefüllte Pausen zur Planung des
Satzes,
Bsp: „Ich ,ähm, komme mit.“
Pausen zur Sprechplanung und
als Folge von Blockierungen der
Atmung und/oder der
Artikulation
„Stressfreie“ Satzabbrüche und
Neustarts,
Bsp.: „Und ich habe dann – und

wir haben dann Eis gegessen.“
Es kommt zu Satzabbrüchen und
Neustarts.
Normale Atmung, außer bei
Aufregung, dann
„Schnappatmung“
Die Atmung verändert sich, wird
unregelmäßig, manchmal fehlt
mitten im Wort genügend
Atemluft.
Kein LeidensdruckVermeidung von angstbesetzten
Wörtern und (für das Kind)
unangenehmen Situationen.
Wechsel im Sprechtempo
Veränderung der Sprechstimme. Es kommt z.B. zu einer singenden
Sprechweise oder zum Flüstern.
Es können Begleitsymptomatiken
auftreten. Sie zeigen sich durch
Anspannungen im Gesicht
(Grimassieren) oder durch
zusätzliche Körperbewegungen.

Erkennst du dein Kind bei den Beschreibungen auf der linken Seite wieder? Ist dein Kind zwischen 2,5 und 5 Jahre alt?
Dauert die Sprechunflüssigkeit nicht länger als sechs Monate?
Spricht dein Kind nur phasenweise unflüssig?

Dann brauchst du dir erst einmal keine Sorgen zu machen.

Wichtig ist aber, dass du dir bei einer Unsicherheit jederzeit kompetente Hilfe und Unterstützung holen kannst. Sprich mit dem Kinderarzt und schildere ihm deine Beobachtungen. Er stellt dir dann bestimmt ein Rezept zur Sprachtherapie aus. Vielleicht reicht ja schon ein Rezept mit drei Terminen. Der Therapeut kann sich dein Kind in Ruhe anschauen und mit dir das weitere Vorgehen besprechen.

Hand in Hand über die „Stolpersteine“!

Es ist verständlich, wenn dich das Stottern deines Kindes verunsichert. Für dein Kind ist es aber ganz wichtig, wenn du es genauso akzeptierst, wie es im Moment spricht.

Denn gerade ein gelassener und offener Umgang in einer entspannten Sprechsituation sind von großer Bedeutung, um die Sprechfreude deines Kindes zu erhalten und zu stärken.

Die folgenden Tipps helfen dir dabei

  • Denke immer daran: Wichtig ist, was dein Kind sagt, und nicht, wie es etwas sagt!

  • Nimm dir Zeit, so dass eine ruhige Sprechsituation entstehen kann. Signalisiere dein Interesse durch Blickkontakt und aufmerksames Zuhören.

  • Achte auf deine Gestik, Mimik und Stimme. Oft bemüht man sich, „locker und entspannt“ zu erscheinen und vergisst dabei diese drei Kommunikationsmittel völlig.

  • Unterbrich dein Kind nicht beim Sprechen, gib ihm die Zeit, seine Äußerung zu Ende zu bringen, das heißt, du solltest so normal wie möglich auf die Äußerungen deines Kindes eingehen.

  • Mache dein Kind nicht ständig auf seine Fehler aufmerksam oder korrigiere es. Auch Ratschläge wie z. B.: „Denk erst nach, bevor Du sprichst“, „Sprich langsamer“ oder „Hole erst einmal tief Luft“ schaden der Sprechfreude und dem Selbstbewusstsein deines Kindes. 

  • Sei ein gutes Sprechvorbild. Dein Kind orientiert sich sehr stark an seine engsten Bezugspersonen. Deshalb beobachte dein eigenes Sprechen. Sei nicht zu schnell, sondern setze kleine Pausen zwischen den Sätzen. Achte außerdem auf eine deutliche Betonung.

  • Behandele dein Kind ganz normal, d.h. sage ihm ruhig und deutlich, wenn du gerade keine Zeit zum Zuhören hast oder du etwas nicht richtig verstanden hast.

  • Zeige deinem Kind, dass Sprechen Freude macht! Je mehr sprachliche Anregungen dein Kind bekommt und je mehr es zum Sprechen ermutigt wird, um so leichter und begeisterter wird es seine Sprachkompetenz verbessern.

Und nun zum Schluss: Lass dich nicht verunsichern. Vertraue auf dein Gefühl, dann werdet ihr diese Phase gemeinsam überstehen. Jeder Mensch braucht Zuwendung, Sicherheit und Geborgenheit, besonders die Kleinen und ganz besonders in solch einer kritischen Phase.